ein Leben in der Isolation – #offline

Heute habe ich leider kein Foto fĂŒr dich! Und es dreht sich auch nicht wirklich um Fotografie. Denn manchmal texte ich die Leute auch einfach nur zu 😉 Und der Titel des Artikels hört sich vermutlich vielversprechender an als es in Wahrheit der Fall ist. Ach ja, jegliche Lobeshymnen auf mögliche Ideale, die ihr in meinen Worten zu sehen glaubt, bitte ich auch zu vermeiden. Denn nein, ich war (leider, leider, leider) nicht 4 Wochen alleine an der norwegischen KĂŒste in einem kleinen Segelboot unterwegs. Es ist einfacher als erwartet. Es geht hier nur um mein profanes Handy. Und warum? Einfach weil es grad 5 Uhr in der Nacht Morgens ist und ich nicht mehr schlafen kann. Also dachte ich mir, mit einem Kaffee neben mir, leiser Klaviermusik auf meinen Ohren (aktuell lĂ€uft Ozymandias‘ „I miss you“) und ein paar manchmal auch ironischen Worten zum Sonntag zum Thema analoges Leben könnte ich so einen Tag doch ganz gut starten. Mal sehen was daraus wird…

Es geht also um analoges Leben, im Speziellen um mein Handy. Und nein, vergesst einfach alle Klischees, die es zu diesem Thema gibt. Ich bin weder populistisch, noch extrem. Ja, ich liebe Trends und oft lasse ich mich auch mitreißen. Aber nur dann, wenn es wirklich Sinn macht.

Und um es vorweg zu nehmen, ich habe das Ganze hier nicht selber herbeigefĂŒhrt oder mich bewusst dazu entschieden. Es war ein Unfall. Mein Handy war am Arsch! Und zwar fĂŒr ganze 2 (in Worte: ZWEI) ganze Wochen lang. Doch die Idee, wie sich der Alltag und das Empfinden des Alltags durch so eine „Kleinigkeit“ drastisch verĂ€ndern könnten, interessierte mich. Und da ich von Natur aus sehr neugierig bin, wollte ich das einfach mal ausprobieren. Viele schwĂ€rmen ja förmlich davon, ohne Handy sei das Leben angenehmer und man brauche es ja nicht wirklich. Also wollte ich wissen, wie das ist. Aber es war schon ziemlich herausfordernd. Ich möchte zwar nicht behaupten, dass ich mich manchmal nicht gerne aus den Ruinen meiner Gewohnheiten heraus bewege. Aber dennoch war es nicht leicht, mich auf einige mechanische Relikte zurĂŒckzubesinnen – mal abgesehen von meinen alten analogen Kameras natĂŒrlich 😉

In diesen zwei Wochen lief ich tatsĂ€chlich ohne Telefon durch die Gegend. Denn da ich kein Ersatz-Smartphone besitze (wer hat sowas schon?!) hatte ich eben dieses Problem: unterwegs war ich weder telefonisch erreichbar, noch konnte ich die VorzĂŒge des mobilen Internetzugangs im Alltag nutzen. Mein spontaner Gedanke war: welch ein Luxus! Doch auch ich hege mittlerweile echte Zweifel, ob „absolut analog“ tatsĂ€chlich so viel mehr LebensqualitĂ€t mit sich bringt. Denn ich war nicht nur nicht „always on“, sondern blöderweise einfach auch nur zurĂŒck katapultiert in die 80er Jahre. Nur leider ohne Walkman, ohne Skateboard, ohne Run DMC, ohne Chucks und auch ohne das GefĂŒhl, dass das absolut normal sei. Aber wie heisst es so schön: Probleme sind nur Gelegenheiten in Arbeitskleidung. Also dachte ich mir, ich mache mir einen Spass daraus mich nun wieder mehr auf die mechanischen Dinge des Alltags einzulassen.

Es fing schon am ersten Tag an, als mein Smartphone gestorben ist. Es schaltete sich unerwartet aus. Das war wĂ€hrend ich es autofahrend als NavigationsgerĂ€t verwendete. Man muss sich das mal vorstellen, mitten im lĂ€ndlichen Waldgebiet, im letzten Drittel der Strecke kurz vor dem Ziel geht das blöde Teil einfach so aus. Und das bei einem Akkustand von mehr als 70%. (Jegliche Nennungen eines Herstellers will ich hier bewusst vermeiden! Am Ende wĂŒrde dieser große Obst Konzern mich noch auf Verleumdung verklagen oder so.)

Wie gesagt, nichts half mehr. Weder das DrĂŒcken des Ein-/Aus Schalters, noch das Anschließen an das Ladekabel, um es wieder mit Strom zu versorgen. Eine Katastrophe! Tja, frĂŒher hĂ€tte man einfach das Arsenal an Strassenkarten aus dem Handschuhfach geholt. Bei mir im Handschuhfach befinden sich maximal eine Warnweste, ein Regenschirm, ein Hanuta, ein Snickers, ’ne Coke, ein paar Kaugummis, ein trockenes Croissant und ein Staubtuch, falls ich wĂ€hrend eines Staus plötzlich den Drang verspĂŒre das Cockpit vom Staub zu befreien. Es war eine abenteuerliche Reise, aber nach gefĂŒhlt 8 Stunden habe ich das noch 3 Kilometer entfernte Ziel doch noch ĂŒber Umwege und ohne einen einzigen Passanten zu fragen erreicht. Yeah!

Aber dann fing das Ungewohnte schon an. Es war zwar toll und ein Riesen Erfolg doch noch rechtzeitig angekommen zu sein. Aber es war ein isoliertes Erfolgserlebnis. Ich war da. Im Wald.  Aber ganz alleine! Ich konnte das GefĂŒhl mit niemandem teilen. Weder Instagram, noch Facebook haben das mitbekommen und niemand hat mich dafĂŒr gelobt. Es war einfach nur still um mich herum. Ungewohnt und sehr schön…

Aber im Vergleich zu meiner Safari am nĂ€chsten Tag war das noch nichts. Wisst ihr eigentlich, wie man die Fahrzeiten der geplanten Anschlußfahrten in Frankfurt OHNE eine RMV App fĂŒr’s Smartphone nachschaut? Es gibt doch tatsĂ€chlich noch diese SchaukĂ€sten, in denen in Papierform alle Fahrzeiten aufgelistet sind. Allerdings nur fĂŒr die ZĂŒge, die auch an der Haltestelle abfahren. Das macht zwar auch irgendwie Sinn, aber es half mir nicht weiter. Also bin ich doch tatsĂ€chlich zu so einem Infostand gelaufen und habe einen Menschen, der dort arbeitet nach den AnschlußzĂŒgen gefragt. Das hat unerwartet gut funktioniert.

Oder dann der Moment, als ich in der Bahn saß und plötzlich diese Langeweile aufkam.  Normalerweise wĂŒrde ich mir die Zeit dann in solchen Situationen mit meinen abonnierten Podcasts oder mit den  neuesten Tweets oder aktuellen News der Facebook oder Instagram Freunde ĂŒberbrĂŒcken. Aber….Boah war das langweilig! Und da die FahrgĂ€ste neben mir entweder Kopfhörer trugen oder mit ihrem Handy beschĂ€ftigt waren, konnte ich mich noch nicht einmal mit jemandem unterhalten. So stellt man sich also ein sozialeres Leben ohne Handy vor. Ich war nicht isoliert, weil ich kein Handy hatte. Ich war isoliert, weil die anderen eins hatten. Willkommen im 21. Jahrhundert!

Und dann stiegen plötzlich zwei junge Leute ein, die sich miteinander unterhielten. Klasse, dachte ich mir. Vielleicht war das ja die Gelegenheit fĂŒr mich, sich auch mal mit anderen zu unterhalten. Smalltalk! Warum denn nicht?! Sie sprachen ĂŒber Fussball. OK, nicht das spannendste Thema, aber ich hĂ€tte mitreden können. Doch plötzlich hörte der eine von beiden auf zu reden, holte sein Handy aus der Tasche und senkte seinen Kopf. Er wurde still. Das Tonsignal deutete auf eine WhatsApp Nachricht hin. Es hatte den Anschein, dass er betete. Ich schwieg also auch und respektiere seinen Moment der religiösen Hingabe. Und dann musste ich plötzlich an alle Physiotherapeuten in der Stadt denken und dass der Markt fĂŒr funktionelle Gymnastik mittlerweile richtig boomen mĂŒsste. Mir fiel auf, dass die meisten in der Bahn dieselbe Körperhaltung hatten. Gesenkter Kopf, ĂŒberstreckter Nacken und leicht angehobene Schultern. Und plötzlich tat mein Nacken auch etwas weh. Ich fĂŒhlte mich nicht gut und stieg aus!

Oder noch ein Erlebnis mit ohne Handy. An einem anderen Abend war ich zu Hause wieder an der Reihe zu kochen und fĂŒr’s Abendessen zu sorgen. Da ich nicht kochen kann und auch nicht kochen will, bestelle ich meistens bei einem Lieferdienst unser Abendessen. Da wir in Frankfurt leben, ist die Auswahl „meiner“ Gerichte natĂŒrlich unglaublich groß und die Bandbreite der „Food-Delivery-Branche“ dementsprechend bunt. Und das was es so angenehm macht, ist natĂŒrlich auch die Möglichkeit gleich online zu bezahlen oder auch in der Bestellhistorie einfach die letzte Menu Zusammenstellung mit nur einem Klick wieder zu bestellen. Und da ich gerne Smart und mobil bin 😉 mache ich das hauptsĂ€chlich ĂŒber mein Handy. Normalerweise! Doch an diesem Abend war alles anders. Ich hatte weder eine Karte unseres Lieblings Sushi Dealers im Haus, noch konnte ich mit Bargeld dienen. Also musste ich meinen PC anschmeissen, die Karte online suchen, die Familie interviewen was denn bestellt werden sollte, zur Bank fahren um Geld abzuheben und dann auch noch zum Restaurant dĂŒsen, um dort vor Ort in persona das Essen zu bestellen. Selbstredend musste ich dort warten und hatte nix zu tun. Der spontane Griff in meine Jackentasche, als ich am Tresen stand, verlief sprichwörtlich ins Leere. Ich hatte ja kein Handy mit. Daher konnte ich auch nicht nachsehen, was meine Freunde an dem Abend zu Essen hatten. Facebook und Instagram mussten also ohne meinen Beitrag auskommen. Ich glaube, das hat ganz gut funktioniert. Was man nicht kennt, kann man nicht vermissen, dachte ich mir und entschied mich daher ganz bewusst NICHT das Handy meiner Frau fĂŒr das zur Schau stellen unseres Essens auf Facebook und Instagram zu missbrauchen. Ich war richtig stolz auf mich!

Und die Moral von der Geschichte?
Die Zeit im Off verging wie im Flug und ehe ich mich versah, hatte ich auch schon wieder ein funktionierendes Smartphone in meiner Hand. In diesen zwei Wochen kam ich zwar nie in eine lebensgefĂ€hrliche Situation, in der ich mit meinem Handy hĂ€tte um Hilfe rufen mĂŒssen. Auch habe ich mich nicht verirrt oder je das GefĂŒhl gehabt, tatsĂ€chlich etwas zu verpassen. Das Leben in den sozialen Medien schien nach diesen zwei Wochen unverĂ€ndert. Doch irgendwie habe ich aus dieser Zeit einen leichten Knacks mitgenommen. Einen Knacks in meiner eigenen Wahrnehmung fĂŒr das analoge Leben. Ich glaube nicht daran, dass man ohne Handy eine gesteigerte LebensqualitĂ€t erfĂ€hrt. Es gibt hilfreiche Apps und soziale Dienste, die das Leben vereinfachen können. Praktische Sachen, ohne die es tatsĂ€chlich etwas holpriger zugehen kann.

Aber ich glaube auch nicht daran, dass man mit einem Smartphone immer besser und schneller und vor allem sicherer durch’s Leben kommt. Das ist alles Quatsch! Es gibt kein Nonplusultra und das Argument, weil es wichtig ist und alle es machen, zĂ€hlt auch nicht.

Ich glaube ganz fest daran, dass alles seine Zeit hat. Denn wenn ich mich mit Freunden unterhalte, hat mein Smartphone Sendepause. Und wenn ich alleine bin und vielleicht Hilfe brauche, entscheide ich selber, wie mir diese mobile Technologie behilflich sein kann. Und das kann sie definitiv! Aber ob ich diese UnterstĂŒtzung nun zum eigenen Zeitvertreib oder fĂŒr die Navigation, sei es im Auto oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln dringend brauche, darf ich auch von Fall zu Fall selber entscheiden. Überhaupt ist die Rangfolge ohnehin so, dass ich selber ĂŒber das Smartphone und den dazugehörigen Impulsen daraus bestimme, was gerade an der Reihe ist. Nicht umgekehrt!  Ich glaube wenn ich es zulasse, dass ein Tonsignal, das mich auf einen „wichtigen“ Chat oder eine „dringende“ SMS hinweisen möchte, meine Reaktion bestimmt, dann wĂ€re das ja tatsĂ€chlich ein echtes Armutszeugnis fĂŒr unsere freie westliche Welt 😉

Aber zum GlĂŒck funktioniert Konditionierung auch in die andere Richtung. Wenn ich z.B. diese Gewohnheit auch auf andere Lebensbereiche ĂŒbertragen kann, wĂ€re diese Technologie tatsĂ€chlich hilfreicher als alles andere analoge im Leben. Warum nicht bei der leisesten Stimme seines Partners einfach mal als konditionierte Reaktion darauf das Handy ignorieren oder einfach ausschalten? Oder die Benachrichtigung des Smartphones zu neuen Nachrichten, Emails, Tweets, o.Ă€. wĂ€hrend eines GesprĂ€chs einfach mal als Erinnerung dazu benutzen, dass man ja noch das Handy ausschalten wollte. Eine Konversation wird viel persönlicher, wenn man die sozialen Medien und persönlichen Nachrichten wĂ€hrenddessen einfach mal ignoriert. Dann wird man plötzlich nicht nur „offline“ sein, sondern tatsĂ€chlich auch mal „always on“.

Apropos always on, ich jedenfalls packe nun meine Kameratasche und fahre an den Main, um einen Fomapan 400 Film mit meiner Mamiya zu belichten. Ohne Handy, denn den Weg dorthin kenne ich ja bereits…

2 Kommentare

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Ich bekenne mich: Ich bin ein Smartphone Junkie!
Ich wĂŒsste nicht wie ich 2 Wochen _ohne_ Online auskomme.
Ich gestehe, dass ich im Ausland viel Geld einwerfe um immer digital erreichbar sein zu können.
Ich gesteht das ist alles ziemlich doof!
Aber ich stehe dazu! 😉
(Und es gab schon schlimmere Zeiten in meinem Digital Native Leben)

Ich freu‘ mich jedenfalls wieder auf deine Bilder auf Instagram! :-p

Ein wirklich sehr toller und persönliche Artikel. Wobei ich sagen muss dass mich dieses ganze Thema Entschleunigung irgendwie ermĂŒdet. Wobei das ĂŒberhaupt gar nichts mit deinem tollen Bericht zu tun. Ich habe auch nichts ĂŒber fĂŒr analoge Fotografie. Aber ich erkenne die tiefe Leidenschaft dafĂŒr in dir und das kann ich nur befĂŒrworten. Weiter so Ivan. Ich hoffe das wir uns irgendwann mal persönlich treffen.

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